W. Bergmann u.a.: Antisemitismus in Zentraleuropa

Cover
Titel
Antisemitismus in Zentraleuropa. Deutschland, Österreich und die Schweiz vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart


Autor(en)
Bergmann, Werner; Ulrich, Wyrwa
Reihe
Geschichte kompakt, hg. von Kai Brodersen/ Martin Kintzinger/Uwe Puschner/Volker Reinhardt
Erschienen
Darmstadt 2011: Wissenschaftliche Buchgesellschaft
Anzahl Seiten
144 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Thomas Metzger, Departement für Historische Wissenschaften, Universität Freiburg (CH)

Mit dem Band «Antisemitismus in Zentraleuropa» legen die beiden renommierten Antisemitismusforscher Werner Bergmann und Ulrich Wyrwa ein überaus gründlich reflektiertes und gut strukturiertes Übersichtswerk vor, das das weitgefächerte Angebot der Reihe «Geschichte kompakt» der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft WBG wertvoll ergänzt. Das ambitionierte Ziel, den Antisemitismus in Zentraleuropa respektive in den drei Ländern Deutschland, Österreich und der Schweiz länderspezifisch und ländervergleichend zu beleuchten, ist sehr zu begrüssen. Ebenfalls zu loben ist, dass die Autoren den Untersuchungszeitraum auf die Zeitspanne vom 18. bis zum 21. Jahrhundert gelegt haben, wobei gerade dem wichtigen 19. Jahrhundert viel Raum beigemessen wird. Dies ermöglicht Entwicklungslinien des Antisemitismus nachzuzeichnen und die Frage nach Kontinuitäten, Transformationen und Brüchen aufzuwerfen.

Werner Bergmanns und Ulrich Wyrwas Überblicksdarstellung unterteilt sich in acht Kapitel. Während sich das erste der Definition von Antisemitismus und der historischen Verortung des Phänomens in gesellschaftlichen und demographischen Entwicklungen wie Urbanisierung, Verbürgerlichung, Säkularisierung, Nationalisierung usw. widmet, nehmen die restlichen Kapitel in chronologischer Folge eine Analyse der Ausprägung der Judenfeindschaft in unterschiedlichen Perioden vor. Nach einer kurzen Diskussion der christlich geprägten Judenfeindschaft, wie sie sich seit der Antike und dann verstärkt und zudem vermischt mit nicht religiösen Feindbildern im Mittelalter und der frühen Neuzeit manifestierte, gehen die beiden Autoren ausführlich auf den Antisemitismus während des Zeitalters der Emanzipation bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges, der Phase der Formierung des modernen Antisemitismus, ein. Der Beschreibung des Antisemitismus als soziale und politische Bewegung (1879– 1914) räumen die beiden Antisemitismusforscher hierbei besonderes viel Platz ein, wobei es ihnen sehr gut gelingt, einen strukturierten Überblick über die sich stetig verändernde und durch Fragmentierung geprägte Landschaft der antisemitischen Parteien zu bieten. Auf Kapitel über die Radikalisierung des Antisemitismus nach dem Ersten Weltkrieg und seiner eliminatorischen Kulmination im Nationalsozialismus folgt abschliessend eine Beleuchtung von Kontinuitäten und Transformationen im Antisemitismus von der unmittelbaren Nachkriegszeit bis ins beginnende 21. Jahrhundert.

Wie setzen Werner Bergmann und Ulrich Wyrwa den Ländervergleich in ihrem Buch um, und wie viel Raum geben sie ihm? Grundsätzlich wenden die Autoren in jedem Kapitel den Blick auf alle drei untersuchten Länder und stellen sich die nicht immer einfache Frage nach Unterschieden und Gemeinsamkeiten. Im Mittelpunkt des WBGBandes stehen allerdings vor allem die Entwicklungen in Deutschland, was sich auch in der Chronologie der Kapiteleinteilung sowie in den Titeln niederschlägt. Recht umfangreich findet auch die Geschichte des Antisemitismus in Österreich Eingang in die Darstellung, während dem schweizerischen Beispiel deutlich am wenigsten Raum eingeräumt wird. Diese Gewichtung hat nebst der unterschiedlichen Grösse der Staaten wohl auch mit der unterschiedlichen soziopolitischen Wirkungsmächtigkeit des Antisemitismus vor allem im 20. Jahrhundert in Deutschland, Österreich und der Schweiz zu tun. Einfluss auf die Gewichtung der drei Staaten scheint auch der unterschiedliche Forschungsstand gehabt zu haben. Während insbesondere in Deutschland die Antisemitismusforschung bereits eine längere Tradition aufweist und zu einer kaum mehr überblickbaren Anzahl von Studien geführt hat, kann sich das Autorenduo betreffend die Schweiz lediglich auf eine sehr lückenhafte Forschung stützen, was zu Verzerrungen und Fehlern führen kann. Dies zeigt vor allem die nicht vorhandene Analyse der sogenannten Fronten, die in den 1930er Jahren in der Schweiz entstanden und sich am Nationalsozialismus oder am italienischen Faschismus orientierten. Diese rechtsextremen Organisationen, die dem Antisemitismus in der Schweiz durch ihre politische Agitation zu einer bislang ungekannten Präsenz im öffentlichen Raum verhalfen, findet im vorliegenden Buch, das der Darstellung des politischen Antisemitismus ansonsten besonders viel Platz einräumt, keine eigentliche Beachtung. Diese Lücke ist, so ist anzunehmen, der Tatsache geschuldet, dass die primär auf die 1960er und 1970er Jahre zurückgehenden Studien zum Frontismus auf die organisatorische Struktur dieser Gruppierungen fokussierten und deren radikalen Antisemitismus nur marginal thematisierten und kaum analysierten.

Abgesehen von dieser aus schweizerischer Perspektive angebrachten Kritik ist Werner Bergmann und Ulrich Wyrwa zu ihrem Band «Antisemitismus in Zentraleuropa» zu gratulieren, denn es gelingt den beiden Autoren ausgezeichnet, einen kompakt gehaltenen Überblick anzubieten, ohne dabei aber die Komplexitäten des Themas auszublenden. Mit den regelmässig integrierten Autoren- und Literaturhinweisen, den Verweisen auf unterschiedliche Forschungsansätze und den gezielt ausgewählten Quellenbeispielen ist der Band zudem sehr gut auf die definierte Zielgruppe der Studierenden, Lehrenden und historisch Interessierten ausgerichtet.

Zitierweise:
Thomas Metzger: Rezension zu: Werner Bergmann/Ulrich Wyrwa, Antisemitismus in Zentraleuropa. Deutschland, Österreich und die Schweiz vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Darmstadt, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2011. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 106, 2012, S. 704-705.

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